Alles trägt eine Geschichte in sich
Ein Interview mit Catherine Guerin über das Projekt Moving Stories
Was erwartet mich bei Moving Stories?
Bei Moving Stories wirst Du von einer sehr bunten, begeisterten Gruppe professioneller Tänzer, Musiker und Schauspieler begrüßt. Sie sind bereit, Dich und das gesamte Publikum, in eine einzigartige Geschichte mitzunehmen. Das Format nennen wir Workshop-Performance. Es setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Der erste Teil ist ein Workshop, bei dem Du mitmachen kannst, um unser choreografisches Handwerkszeug kennenzulernen. Diese Elemente kannst Du im zweiten Teil, dem Performance-Teil, wiedererkennen und nutzen. Als Zuschauer darfst Du Vorschläge machen und in bestimmten Abschnitten die Handlung selbst mitbestimmen.
Was reizt Dich daran, mit Geschichten zu arbeiten?
Geschichten sind etwas, das uns zusammenbringen und verbinden kann. Die meisten Leute können mit diesem Thema etwas anfangen. Menschen träumen und möchten ihre Träume miteinander teilen. Sie sehen Sachen und suchen Bedeutung darin. Eigentlich stülpen wir alle ständig narrative Bedeutungen über alles, was wir sehen. Daraus entsteht schnell die Frage: Was passiert als nächstes? Das hält uns zusammen und sorgt für Aufmerksamkeit in der Live-Begegnung des Theaters. Auch, dass man eine gewisse Empathie entwickelt für die Situation oder eine Person auf der Bühne.
Was bedeutet das für Eure konkrete Zusammenarbeit?
Als Choreografin interessiert es mich, was es heute bedeutet, kollektiv in kreativen Kontexten zusammen zu arbeiten. In einer Form, in der es immer flexible Hierarchien gibt und auch die Rolle des Autors rotiert oder ausgetauscht wird. Es ist also nicht mehr die einzelne Person, die wie ein Gott über der Geschichte steht. Es geht darum, dass wir zusammen an etwas arbeiten. Und daraus ergibt sich schnell die Frage, wer eigentlich der Autor oder die Autorin ist. Wir, die eine Performance anbieten oder das Publikum, das sie interpretiert?
Welche Rolle spielt der Tanz bei dieser Idee?
Der Titel, Moving Stories weist darauf hin, dass die Geschichte ständig in Bewegung bleibt, genau wie ihre Bedeutung. Jeder, der in diese Veranstaltung kommt, hat die Möglichkeit, mitzuwirken und die Geschichte in eine andere Richtung zu bringen. Da wir interdisziplinär arbeiten, gibt es Tänzer, Schauspieler und Musiker, die alle ihren Teil zur Geschichte beitragen. Sie wird aber nicht nur von den Menschen, sondern auch von Elementen beeinflusst. Es macht einen Unterschied, ob man Requisiten benutzt, in welchem Raum man ist, oder ob Theaterlicht zum Einsatz kommt. Alle Elemente tragen dazu bei, eine Geschichte zusammen zu bauen und sie zu entfalten.
Das INTER-ACTIONS Studio ist sehr spezifisch, weil es speziell für Proben und den Austausch mit anderen Menschen gedacht ist. Was macht das mit Eurem Format?
Als Tanz-Studio ist der Raum von vorallem für den Workshop-Teil sehr gut geeignet. Es bietet eine optimale, offene Fläche, um dem Publikum zu begegnen und es zum Tanzen einzuladen, bevor wir dann in den Performance-Teil übergehen. Genau wie bei jedem Theaterritual ist das Herz von Moving Stories auch im zweiten Teil die Begegnung mit dem Publikum: Man begegnet sich, stellt etwas zur Schau und feiert die rituellen Geschichten. Obwohl oder gerade weil das Studio kein Blackbox-Theater mit Bühne und Zuschauerraum ist, ist es auch für diese Form von Begegnung interessant, weil die Menschen einander sehr nahe kommen.
Gibt es Räume, in denen Moving Stories nicht funktionieren würde?
Ich begrüße jede Herausforderung und sehe alles im Raum als potentiellen Spielpartner: Der Boden, das natürliche oder das künstliche Licht, die Vorhänge, die Menschen oder die Objekte. Auch deshalb ist Moving Stories sehr flexibel. Wir können eigentlich überall spielen, denn das Ausprobieren ist Teil des Formats. Wichtig sind die Geschichten, die wir in der Live-Begegnung zusammen schaffen.
Schon der Raum zeigt also die Potentiale, die Euer Projekt in Zukunft noch birgt. In welche Richtung könnte sich Moving Stories weiter entwickeln?
Für die Zukunft kann ich mir sehr viel vorstellen. Ich habe zum Beispiel die Idee, eine Internetseite einzurichten. Hier könnten Menschen anonym oder unter ihrem Namen kurze Geschichten teilen. Diese können wir dann in unser Programm aufnehmen, sei es in der konkreten Umsetzung oder als Inspiration. Wir könnten auch die Geschichten, die bei Moving Stories schon entstanden sind, auf dieser Seite posten.
Ich glaube, dass alles, was uns in der Welt umgibt, eine Geschichte in sich trägt. Man kann seine Perspektive einnehmen: Meine Kleidung, meine Kaffeetasse, die Pflanze auf der Fensterbank kommt von irgendwoher. Sie haben eine Geschichte und gehen durch die Zeit an irgendeinen Ort. Jeder Mensch, dem man auf der Straße begegnet, hat mehrere Geschichten. Dieses Potential wird mich auch in Zukunft weiter interessieren: Die Welt als eine Geschichte, die wir miteinander schreiben und die wir immer wieder umschreiben können.